Die Kraftprobe

Jedes Jahr zur Mittsommernacht findet in Norwegen „Die Große Kraftprobe“ statt. Ein Radmarathon über 540 Kilometer von Trondheim nach Oslo. Aus unserem Verein hat Dominik Nau das Rennen in einem deutschen Team bestritten.


Unterwegs nach OsloUm Punkt 8:00 starten wir vom Vorplatz des Nidaros-Doms in Trondheim in Richtung Oslo. Vor uns liegen 540 km bis ins Ziel. Das Team Bikewear.com besteht aus 29 Fahrern aus dem gesamten Bundesgebiet, die ein gemeinsames Ziel haben: Oslo soll in unter 16 Stunden erreicht werden. Organisator und Teamleader ist der Kölner Axel Fehlau, der bereits seine 14. Kraftprobe bestreitet.


Verpflegung auf Rädern

In Trondheim regnet es leicht, der Regen sollte aber später an Intensität zunehmen und fast bis nach Oslo andauern. Vor dem Start gibt es noch die kurze Ansage: „Kette rechts, sonst verlieren wir die Ersten vor dem Ortsausgang!“ Direkt hinter Trondheim befindet sich ein erster kurzer Anstieg, den wir in gemäßigtem Tempo angehen. Trotzdem fallen schon an dieser Stelle die ersten Fahrer aus der Gruppe heraus.

Bei Kilometer 60 beginnt der Anstieg zum Hochplateau, an dem wir weitere 5 Fahrer verlieren. Der Wind kommt von vorne, sodass es immer schwieriger wird das Tempo der Marschroute zu halten.

Bei Kilometer 160 halten wir auf dem Dovrefjell für 120 Sekunden an, um Verpflegung nachzufassen. Während des schnellen Stopps passiert mir ein dilettantischer und folgenschwerer Fehler: Ich vergesse die Regenjacke aus meiner Kiste zu nehmen und überzuziehen. Am Anstieg war mir warm genug, nun steht allerdings die lange Abfahrt nach Kvam bevor.

Auf der Abfahrt friere ich dermaßen, dass ich kaum das Rad festhalten kann. Nachdem ich 90 Minuten friere, weiß ich, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis meine Leistung abfällt und ich das Tempo der Gruppe nicht mehr halten kann.

Plötzlich geschieht neben mir ein Sturz: Bei der fliegenden Getränkeübergabe, die von einem alten Postfahrrad erfolgt, reicht eine kleine Unachtsamkeit um die Kontrolle über das Rad zu verlieren und auf den harten Asphalt zu fallen. Nur mit Mühe können die nachfolgenden Fahrer ausweichen, um weitere Stürze zu vermeiden.

Während des kurzen Stopps, in dem das Fahrrad des Gestürzten wieder hergerichtet wird, kann ich aus dem Teambus eine Regenjacke ergattern. Ich bin gerettet! Schnell wird mir wärmer und ich finde wieder die Zuversicht das Ziel in Oslo zu erreichen.

Die zweite Verpflegung findet bei Kilometer 360 kurz vor Lillehammer statt. Wir liegen mit 15 Minuten schon deutlich hinter der Marschroute, es keimt aber stellenweise wieder Optimismus auf als wir weiterfahren. Die alten Hasen wissen: Nach Lillehammer beginnt das Rennen erst richtig. Was nun folgt ist ein ständiges Auf und Ab. Das „Waschbrett“ hält für die Fahrer immer wieder schmerzende Anstiege parat, die nach der Distanz richtig wehtun.
Auf einer rasenden Abfahrt kurz nach Lillehammer passiert es: An letzter Stelle liegend fahre ich durch ein
Schlagloch und handele mir einen Platten ein. Ich rufe so laut ich kann, aber nur ein Teammitglied wartet auf mich.

Der Teambus, in dem Ersatzräder liegen, ist irgendwo falsch abgebogen, sodass wir Schlauch tauschen müssen. Ein norwegisches Team fährt während des Stopps an uns vorbei. Als wir fast fertig mit dem Reifenwechsel sind, kommt doch noch der Teambus und wir nehmen die Verfolgung zur Gruppe auf. Ganze 6:30 Minuten müssen wir zu zweit aufholen. Das buckelige Profil kommt uns nun zu Gute; auf einer ebenen Strecke hätten wir die Gruppe wohl nicht einholen können. Wir fahren volle Pulle und fliegen an der norwegischen Gruppe vorbei. Nach 15 Kilometern Aufholjagd beginnt das Zweifeln: Werden wir noch zur Gruppe aufschließen können? Nach knapp 20 Kilometern sehen wir den Teambus vor uns und wissen, dass wir es geschafft haben. Fast 300 Watt haben wir im Durchschnitt bei der Aufholjagd aufgewendet.

Wieder in der Gruppe angelangt müssen wir jedoch feststellen, dass einige Fahrer bereits viel Mühe haben und das Tempo deutlich langsamer geworden ist. Der Weg führt nun nicht mehr nur über die viel befahrene E6, sondern geht jetzt über schöne Sträßchen und durch kleine Ortschaften. Es ist mittlerweile dunkel geworden und ganz klar, dass wir das Ziel nicht in 16 Stunden erreichen werden. 15 Stunden Regen haben mich weich gewaschen und der Spaß lässt nun drastisch nach. Sicherlich hätten einige Fahrer noch die Kraft gehabt etwas Zeit herauszuholen, aber das Ankommen in der Gruppe hat Priorität. Etwa 10 Kilometer vor dem Ziel kommt die letzte Steigung: Eine 2 Kilometer lange, gut einsehbare Steigung auf einer Autobahn. Für Viele ein schier unüberwindbares Hindernis. Die meisten Fahrer, die wir hier treffen müssen schieben. Es geht nur noch darum irgendwie das Ziel zu erreichen.
Die Uhr bleibt letztlich bei 16:45 Stunden in Oslo stehen. Trotz des verfehlten Ziels gibt es Grund zur Freude.

Drei Wikinger im Ziel

Allerdings sind die Strapazen des Rennens nicht zu übersehen. Ein Fahrer übergibt sich direkt nach der Zieleinfahrt, völlig kaputte Gestalten liegen in nassen Trikots neben ihren Rädern und schlafen. Ich merke wie ich regelrecht einroste und schleppe mich zur Dusche. Als kleines Schmankerl gibt es nur noch kaltes Wasser in den Duschen. Ein Norweger klärt mich auf: „Wenn Du warm duschen willst, musst du früher ins Ziel kommen. Nachher ist das warme Wasser leer“.


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